deufert&plischke verfolgen seit mehr als 22 Jahren die radikale Idee, dass Choreografie  Gesellschaft erschaffen kann, anstatt sie nur zu illustrieren.
 [Kareth Schaffer]

photo: Giannina Urmeneta Ottiker

Kattrin Deufert und Thomas Plischke haben in ihren 22 gemeinsamen Jahren als Künstlerduo deufert&plischke stets mit anderen kooperiert. Schon durch die Doppelbesetzung entstanden ihre Performances und interdisziplinären Werke von Beginn an im Dialog. Folgt man ihrer künstlerischen Entwicklung, löst man sich Stück für Stück von der Theaterbühne, vom klassischen Ausstellungsraum im Museum, vom Urbanen, der einen singulären, genialen Idee und ihrem exklusiven Ergebnis oder der Hierarchie zwischen Kunstschaffenden und Publikum. 

Das partizipative Prinzip ihrer Arbeit hat mittlerweile neue Verbündete gefunden – und sich seine ganz eigenen Räume geschaffen.
Einer dieser Räume ist die spinnereischwelm. Nahe bei Wuppertal, nicht unweit der Großstädte von Ruhrgebiet und Rheinland, etablieren deufert&plischke hier seit Herbst 2021 einen Ort für experimentelle Kunst für alle. In der Spinnerei – einer ehemals leerstehenden Ladengalerie mit großer Fensterfront, in der nun Sitzbälle herumkullern und gemeinschaftlich produzierte Schaukästen an den Wänden hängen – kommt vieles konsequent zusammen, was die Praxis der beiden prägt: Etwa die Einladung zum Spiel, zum Austausch oder Transparenz und Großzügigkeit im Schaffen eines gemeinsamen (Kunst-)Raums, der Fragilität und Weichheit zulässt und dem man seine Geheimnisse, Wünsche und Träume anvertraut. Die Spinnerei ist ein konkreter Ort in der Kleinstadt Schwelm. Sie ist aber auch ein Konzept, das andernorts Wurzeln schlägt und Menschen in Bewegung bringt.

Das Team der spinnereischwelm: Kattrin Deufert, Philipp Czychon, Lena Berger, Annika Schneider, Thomas Plischke, Nilüfer Kemper (v.l.n.r)

Mut zum Chaos und zur Kopflosigkeit braucht es, sagen deufert&plischke, und die Beteiligung anderer – ohne sie kann nichts entstehen. Das Kunstwerk ist dabei letztlich nur die Hebamme, die zu einer transformativen Erfahrung verhilft. Aber ihre Hilfe ist lebensnotwendig.
Die Arbeiten von deufert&plischke bleiben löchrig, damit Raum bleibt für die Imagination der Beteiligten, ihre Ideen und Bedürfnisse. Das erfordert viel Vertrauen und Offenheit von allen. Von deufert&plischke die Bereitschaft zu Umwegen, ästhetischen Kompromissen und das unbedingte Bekenntnis zum partizipativen Prozess und dazu, dass das Vorhaben seine Form findet. Dann können ihre ergebnisoffenen Projekte auch Lücken füllen, die sich in Stadt- oder Dorfgesellschaften auftun. Damit haben die künstlerischen Strategien von deufert&plischke auch eine klare politische Dimension.
Mit ihren spielerischen Regelsystemen und ihren offenen Scores und Partituren entwerfen sie ihre ganz eigene Form der sozialen Choreografie. Diese Choreografie öffnet sich allen, mit und ohne Kunsterfahrung, und sie erfordert Zeit. Die unterschiedlichen Projekte von deufert&plischke wachsen von Ort zu Ort und finden scheinbar kein Ende.  
Sich auf den Kontrollverlust in diesen Arbeiten einzulassen, ist von gesellschaftlichem, sozialem und ästhetischem Wert. Er macht sie aber auch komplex und unberechenbar. Keine Scheu vor der Unkalkulierbarkeit der Welt und Räume, in denen die Diversität unserer Gesellschaft Platz hat – brauchen wir beides nicht gerade jetzt?
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